Ein Abend mit Hilal Sezgin…

…und was für ein Abend das war! Mir sitzt auch heute, am Tag danach, noch die Konfliktgeladene Energie der Diskussionsrunde in den Knochen.

Der Abend begann ganz friedlich. Nachdem ich die Tierrechtlerin und Autorin des Buches “Artgerecht ist nur die Freiheit” Hilal am Bahnhof abgeholt hatte, haben wir vor der Veranstaltung noch einen kleinen (veganen) Happen gegessen. Obwohl wir uns bis zu diesem Zeitpunkt nur via Telefon und Internet kannten, waren wir gleich vertraut miteinander. Zu wissen, dass wir gemeinsam in veganer Mission für die Tiere unterwegs sind, ist sicherlich eine der Gründe für unsere Verbundenheit.
Die Diskussionsrunde selbst fand im “Forum Kirche” in Bremen statt. Neben Hilal waren zwei Biolandwirtinnen (Ada Fischer und Elisabeth Böse) auf dem Podium – moderiert wurde die Veranstaltung von Ottmar Willi Weber.

Schon während sich die Landwirtinnen vorstellten und eine der beiden von ihren Kühen als ihren Freundinnen sprach, fragte Hilal sie, ob sie ihre menschlichen Freundinnen denn auch schlachten würde und machte damit sehr schnell klar, dass sie keinesfalls angereist war, um auf Kuschelkurs zu gehen. Für sie ist auch die Biohaltung von Tieren keine Alternative.
Während der gesamten Diskussion machte sie sehr deutlich, dass “Ich liebe Tiere” und “Ich töte Tiere” bzw. “Ich lasse Tiere töten,weil ich sie esse.” für sie nicht zusammen gehören können.

Mich hat sehr beeindruckt wie Hilal es mit all ihrer Leidenschaft, ihrer Liebe zu den Tieren, ihrem Fachwissen und ihrer Klugheit schaffte, jedes Gegenargument (und ich kann Euch sagen, gestern wurde die gesamte Palette aus allen möglichen Ecken aufgefahren) mit einer sehr strukturierten, sehr klar auf den Punkt gebrachten Antwort zu entkräften.
Dabei hat sie  – trotz all der Kompromisslosigkeit in der Sache – niemanden persönlich angegriffen oder beleidigt.

Die Emotionen, die ihre Beiträge beim Publikum (in dem viele Landwirte und Fleischesser saßen) hervorriefen, habe ich als aggressiv und angespannt empfunden. Wahrscheinlich muss es immer mal weder ein bisschen weh tun, die Wahrheit zu hören. Sie ruft in uns die größten Widerstände hervor. Wer möchte schon von sich selbst denken “Ich verantworte den Tod eines fühlenden Wesens, das viel lieber leben möchte.” während er (oder sie) genüsslich in ihr Wurstbrot beißt?

Auch mich selbst habe ich gestern als sehr “geladen” wahrgenommen  – ich empfand eine gewisse Genugtuung darin, dass da mal jemand so knallhart für die Tiere kämpft, ohne sich Gedanken darum zu machen an welcher Stelle sie ihr Publikum “abholt”. Eindeutig darf ich also auch in mir nach angetriggerten “Schattenthemen” und auch nach evtl. unterdrückten Aggressionen forschen.

In jedem Fall wurde sehr viel Aggression aufgewirbelt: Aggression in Fleischessern und ganz gewiss auch Aggression in uns Veganern. Puh!

In ihrem sowohl inhaltlich genialen als auch eloquenten Schlussplädoyer stellte Hilal schließlich die Verbindung zwischen heutigen TierrechtlerInnen zu früheren FrauenrechtlerInnen und denjenigen her, die sich für die Rechte von Schwarzen einsetzten. Dadurch wurde mir noch einmal klar: Pioniere laufen seit jeher Gefahr, sich unbeliebt zu machen! Das ist in gewisser Weise ihr bzw. unser Job!

Ich brauchte heute eine ganze Ladung meiner “Werkzeuge”, um die gespeicherte Energie des Abends zu bearbeiten. Eine “energetische Körperreinigung” ebenso wie eine Meditation und eine Übung in radikaler Empathie gegenüber denjenigen, die Hilal attackiert haben.

Jetzt fühle ich mich aufgeräumt und sehr bereichert durch den Abend und durch das Kennenlernen dieser ganz besonderen Frau!

Was bleibt ist der Wunsch, dass sich jeder im Publikum – trotz aller Widerstände und Aggressionen –  tatsächlich die 5 Minuten nimmt, die Hilal vorgeschlagen hat. 5 Minuten,  um einmal wirklich in sich hineinzuhorchen: “Kann ich es vor mir und meiner Ethik vertreten, Tiere zu essen?”

von links: Corinna von der Glücksmahlzeit, ich, Julia von Sprossenposse und Hilal 😉

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